Kolloquium zum 600. Todestag des Landgrafen Balthasar
Hundert Jahre später sollte sich diese Ignoranz nicht noch einmal wiederholen. ‚Helga vom Wiegwasser‘, ‚Roland‘ und ‚Horst-Dieter vom Wilden Graben‘ sowie ‚Siegfried vom Flutgraben‘ waren vier der hydrophilen Adelspersönlichkeiten (Wasservögte) aus dem Freundeskreis Leinakanal, die am 13. Mai 2006 gemeinsam mit dem Gothaer Verein für Stadtgeschichte und Altstadterhaltung ein wissenschaftliches Kolloquium organisierten.
Dessen Thema lautete: ‚Balthasar und die Erbauer der europäischen Kunstgräben‘ und war dem 600. Todestag des Thüringer Landgrafen gewidmet. Altstadt-Vereinschef Matthias Wenzel begrüßte im Gothaer Haus der Versicherungsgeschichte ca. 40 Teilnehmer und Gäste aus Thüringen und vier weiteren Bundesländern. Landratsbeigeordneter Helmut Marx überbrachte die Grüße des Schirmherrn Landrat Konrad Gießmann nicht allein mit verbindlichen Worten, sondern mit einem Zuwendungsbescheid zur Finanzierung der Veranstaltung. Ex-Balthasar-Darsteller und Oberbürgermeister in spe Knut Kreuch fand trotz Wahlkampfstress die Muße für eine Grußadresse in seiner beliebten Vierzeilerfassung.
Der 600. Todestag bot den Anlass, Leben und Werk des Landgrafen aus verschiedener Sichtweise zu beleuchten.

Inhaltlich führte ein roter Faden vom Leben und Wirken des Landgrafen Balthasar zum Bau des Leinakanals und des Flößgrabens sowie zu anderen künstlichen Fließgewässersystemen in Deutschland. Im Hauptreferat analysierte Dr. Mathias Kälble von der Friedrich-Schiller-Universität Jena den historischen Hintergrund zu Balthasars Aktivitäten: Politik und Herrschaft im Spannungsfeld von Land und Dynastie, und damit die Grundlagen zu Leben und Werk dieser kaum erforschten Herrschergestalt. Balthasar hatte die Landgrafschaft Thüringen zu einem eigenständigen Gebilde und Gotha als Residenz ausgebaut und regierte in einer Zeit vieler Konflikte, Krisen und außergewöhnlicher Naturkatastrophen, wie Missernten, Pest, einer Heuschreckenplage und eines Erdbebens. Aber auch Fehden zwischen den Thüringer Grafen, die ihren Herrschaftseinfluss vergrößern wollten, bestimmten seine Regierungszeit. Zu den Schattenseiten jener Zeit gehörten außerdem Judenverfolgungen. Dabei wurde der Adel von Schulden, die er bei jüdischen Geldgebern hatte, befreit.
Helga Raschke und Roland Schilling referierten zum Bau und zur Vermessung des Leinakanalsystems und der Wasserversorgung in Gotha. Die Baumeister in den verschiedenen Jahrhunderten waren Werkmeister Conradus (Leinakanal, 1369), Forstwart David Schmidt (Flößgraben, 1653) und Wasserbauingenieur Hugo Mairich (Wasserkunst, 1895; Gothaer Talsperre, 1906). Balthasar ehren heißt für die Freunde des Leinakanals und des Altstadtvereins, das technische Kulturdenkmal Leinakanal mit dem Aquädukt und der Wasserkunst zu schützen, zu pflegen und einer breiten Öffentlichkeit bekannt zu machen.
Prof. Dr. Hermann Wirth von der Bauhaus-Universität Weimar, Dr. Oliver Kaiser von der Albert-Ludwig-Universität Freiburg, Dr. Klaus Grewe, Mitglied der Frontinusgesellschaft, sowie Wolfram Such von der Deutschen Wasserhistorischen Gesellschaft, ergänzten mit ihren Vorträgen die landeskulturelle Sorgepflicht im Interessenkonflikt zwischen Fließendem und Stagnierendem sowie die Bürgerbeteiligung bei der Erforschung urbaner Fließgewässer und zeigten weitere Beispiele faszinierender, von Menschenhand geschaffener, Gewässer. Unter Führung der Leinakanalfreunde Dieter Vogel und Harry Vorreiter schlängelten sich die Gäste des Kolloquiums am Verlauf des Grabens im Schlosspark entlang.
Sowohl die Referenten als auch die Zuhören bildeten somit einen erlesenen Kreis von Spezialisten. Gegenstand ihrer wissenschaftlichen Neugier und ihres forscherlichen Enthusiasmus ist die Geschichte der kleinen künstlichen Fließgewässer. Trotzdem hätten sich die Organisatoren mehr Resonanz der Gothaer Bürger und ihrer kulturellen Einrichtungen gewünscht.
Das wichtigste Anliegen des Kolloquiums wurde jedoch erfüllt: nämlich denjenigen zu ehren, der das Wasser aus dem Thüringer Wald nach Gotha führen ließ. Carolin Bärwolf vom Gustav-Freytag-Gymnasium trug ein Gedicht von Roland Schilling vor. Brunnenmeister i.R. Siegfried Stech meinte in seiner Gedenkrede: Anno Domini 1369 Landgrafius Balthasar introduxit aquam Linam in Gotam (Im Jahre des Herrn 1369 führte Landgraf Balthasar das Leinawasser nach Gotha). Dieser schlichte Satz auf der Gedenktafel an der Wasserkunst steht für eine der großartigsten Leistungen des späten Mittelalters. Nicht die Grundsteinlegung für eine Burg, nicht die Eroberung einer Stadt und nicht das Schlagen einer Schlacht waren für die Bauern und Handwerker der Residenzstadt entscheidend, sondern vielmehr das Lebenselixier Nummer eins, das Wasser. Der Werkmeister Conradus schuf im Auftrag des Thüringer Landgrafen mit dem Leinakanal ein Meisterwerk mittelalterlicher Vermessungskunst. Wir verneigen uns vor dem Wohltäter, der vor 600 Jahren, am 18. Mai 1406 starb. Ihn zu ehren heißt für die Freunde des Leinakanals und des Altstadtvereins, das faszinierende künstliche Gewässersystem zu schützen, zu pflegen und einer breiten Öffentlichkeit bekannt zu machen. Wir brauchen uns heute nicht mehr darüber sorgen, dass aus unseren Wasserhähnen ständig sauberes Trinkwasser fließt. Doch in vielen Regionen dieser Welt sieht das ganz anders aus. Bleibt nur zu hoffen, dass die gegenwärtigen Kriege um das Öl nicht einmal in einen Krieg um das Wasser ausarten. Dann wäre die Menschheit wieder im Mittelalter angekommen.
Beim letzten Tagesordnungspunkt besichtigten die Teilnehmer die kleine Leinakanal-Ausstellung im Lucas-Cranach-Haus und staunten über die Funktionsweise der historischen Pumpanlage für die Wasserkunst. So muss ein wissenschaftliches Kolloquium ablaufen, lobte Prof. Hermann Wirth zum Abschied. Die unterschiedlichen Themen zu Geschichte, Denkmalpflege und Ökologie künstlicher Gewässer waren für Einheimische wie Gäste ein Gewinn. Schirmherr, Referenten, Organisatoren und Gäste waren sich einig, mit der symbolischen Wellenlinie im Wappen des Kreises Gotha für eine Lobby der (ur)alten Schlingel in Gotha, in Thüringen, in Deutschland und anderswo einzutreten.
Die Geschichte des Landgrafen Balthasar ist ein treffendes Beispiel für die Kombination von fürstlichem Machtstreben und einem Engagement für das Allgemeinwohl der Untertanen.
Am 21. Dezember 1336 wurde er in Weißenfels geboren – Balthasar, Landgraf von Thüringen, zweiter Sohn des Mark- und Landgrafen Friedrich II. von Meißen (der Ernsthafte, 1310-1349, reg. 1324-1349). Friedrich II. festigte die Wettiner Herrschaft durch seinen Erfolg im Thüringer Grafenkrieg (1342-1345). Ab 1349 regierte Balthasar nach dem Tode des Vaters gemeinschaftlich mit seinen Brüdern Friedrich III. (der Strenge, 1332-1381) und Wilhelm I. (der Einäugige, 1343-1407) bis 1379 in den wettinischen Ländern (Regierungszeit von Balthasar: 1349-1379-1406). Balthasar hatte noch einen weiteren Bruder (Ludwig) und zwei Schwestern (Elisabeth und Beatrix). Der 18jährige Friedrich erhielt von Kaiser Karl IV. die Vormundschaft über seine drei Brüder auf zehn Jahre.

Die Brüder setzten die thüringisch-sächsische Bündnis- und Expansionspolitik ihres Vaters fort. Gestützt auf den Ausbau der Landesverwaltungen und ihr Engagement für kirchliche Belange stärkten sie die wettinisch-landgräfliche Machtentfaltung und erreichten dadurch eine hegemoniale Position in Thüringen. Auch durch eine geschickte Heiratspolitik konnte Balthasar seinen Machtbereich auf Städte, Ämter und Schlösser ausdehnen (1374 Ehe mit Margarethe von Hohenzollern und 1404 Ehe mit Anna von Sachsen). Der Landgraf baute die Burgen Grimmenstein (Gotha) und Tenneberg (Waltershausen) aus, erhob das Kloster Reinhardsbrunn zum Hauskloster der Thüringer Landgrafen und wies weitergehende [?] Reinhardsbrunner Ansprüche erfolgreich ab. Im Jahre 1383 erhielt er den Marktflecken Herbsleben (Vertrag von Chemnitz 13. November 1383) zum Lehen, wo er (1387-1406) verschiedene Neuerungen zum Wohle des Dorfes und der Bürger einführte (u.a. Modernisierung der Gerichtsbarkeit, Bau einer Mühle und einer Röhrenwasserleitung). 1391 stellte er den Heimbürgern und der Dorfschaft Land aus seinem Besitz zur Verfügung.

1394 besiegelte Balthasar den Anschluss des Dorfes Ibenhain an die Stadt Waltershausen durch den Burgmann vom Tenneberg Lutz von Farnroda. Bereits 1379 hatte er in Waltershausen eine Bannmeile zum Schutz des Handwerk, des Markt- und Bierbraurechts eingerichtet. Die Landgrafen Friedrich und Balthasar wiesen ihre Vögte zu Gotha, Tenneberg und Waltershausen an, dass nur das in den landgräflichen Städten gebraute Bier zum Ausschank kommen dürfe. Im Jahr 1391 kaufte Balthasar den Herren von Laucha-Teutleben die husunge vnd gebuwde neben der Burg Tenneberg in Waltershausen ab, wo er oft während der Jagd im Thüringer Wald weilte, ließ danach die Burg ausbauen und wiederholt verpfänden. 1399 förderte er die Landgrafschaft Waltershausen durch einen Schiedsspruch gegen den „Großen Kellner“ (= Abt) Diether Neckel, womit er Ansprüche des Klosters Reinhardsbrunn auf ein Marktprivileg für Friedrichroda und auf ein Wasserrecht zurückwies. Das Badewasser (Reinhardsbrunner Bach, Louffa) war schon vor Balthasars Zeiten zur Nutzung des Klosters umgeleitet worden. Im gleichen Jahr gab das Kloster Reinhardsbrunn eine Anleihe von 100 Schock Freiberger Groschen an den Landgrafen. Das Kloster war – wie schon erwähnt – bereits in den vorangegangenen Jahren von Balthasar gefördert und zum Hauskloster der Thüringer Landgrafen erhoben worden.
Am 18. Mai 1406 starb Balthasar auf der Wartburg und wurde in Reinhardsbrunn bestattet. Über seinem Grab wurde eine Tumba aufgestellt und 1407 der Thomasaltar errichtet. Nach der Schleifung des Klosters im Bauernkrieg brachte man die Grabplatten der Landgrafenfamilie 1552 zur Festung Grimmenstein nach Gotha. In den folgenden Jahrhunderten wechselten sie mehrfach ihren Standort, bis sie 1952 in der Pfarrkirche St. Georg zu Eisenach ihre letzte Bleibe fanden – Balthasars Grabplatte jedoch blieb verschollen. Mit dem Tod seines Sohnes Friedrich war die Balthasar-Linie der Thüringer Landgrafen schnell wieder ausgestorben.
Unvergessen aber bleibt die wohl wichtigste Tat Balthasars, die bis in die heutige Zeit wirkt: der Bau und die Erhaltung von Kunstgräben, wie des Badewasser-Mühlgrabens in Waltershausen, der Röhrenwasserleitung in Herbsleben, des Helbekanals bei Weißensee und des Leinakanals von Schönau v.d.W. nach Gotha. Im Gegensatz zu Situation in vielen anderen Städten floss durch die Mitte des 12. Jahrhunderts gegründete Stadt Gotha kein natürliches Gewässer. Nur der kleine Bach Wiegwasser, der westlich der Stadt in der Eschleber Flur entspringt und nach Norden in die Nesse abfließt, tangierte das mittelalterliche Gotha. 1366 bis 1369 wurden auf Balthasars Initiative hin der Leinakanal und die Wallgräben von seinem Werkmeister Conradus von Gotha angelegt, um dem Wassermangel der Stadt Gotha als einer der landgräflichen Residenzstädte entgegenzuwirken. Im Jahre 1378 wurde die Bergmühle in Gotha erstmals erwähnt; sie entstand wahrscheinlich schon mit dem Bau des Leinakanals.
1378 bezeugt ein Schenkungsbrief des Ritters Heinrich von Ülleben erstmals die Ableitung des Mühlgrabens vom Badewasser in Schnepfenthal nach Waltershausen (um 1300). Das Dorf Wahlwinkel wurde durch die Befreiung des Marktzolls in Waltershausen für den teilweisen Verlust des Aufschlagwassers für seine Mühlen entschädigt. Ausbau und Nutzung des Grabens werden in der Überliefering immer wieder in Zusammenhang mit Balthasar gebracht.
Das Andenken des fortschrittlichen Regenten wird im Gothaer Land auf verschiedene – wenn auch zu geringe -, Weise bewahrt, wie etwa bei der Namensgebung von Straßen und Gaststätten (Landgraf-Balthasar-Weg in Gotha, Landgrafenweg und Baldrichstein auf dem Burgberg in Waltershausen, Hotel Landgraf und Restaurant Balthasar in Waltershausen).
Im Jahr 2006 wurden der 600. Todestag und der 670. Geburtstag des Thüringer Fürsten begangen. Seit 1994 findet als Höhepunkt des Gothardusfestes Anfang Mai in Gotha ein fingiertes Streitgespräch zwischen Balthasar und St. Gothardus statt. St. Gotehardus oder Gotthard ist der Schutzpatron von Gotha und wurde in die Symbolik der Stadt aufgenommen (Stadtwappen). Er lebte von 961 bis 1038, war Abt des Klosters Hersfeld, später Bischof von Hildesheim und wurde 1131 heilig gesprochen. Die Balthasar-Figur wurde zum Stadtfest ab 1994 bis 2005 traditionell von Knut Kreuch, dem jetzigen Oberbürgermeister, und ab 2006 von Clemens Festag, dem Schulleiter des Arnoldi-Gymnasiums, dargestellt. Im Keller des Lucas-Cranach-Hauses Gotha am oberen Hauptmarkt befindet sich eine kleine Leinakanal-Ausstellung. Dort ist der Landgraf Balthasar nicht in Rüstung, wie auf der einzig überlieferten Abbildung, sondern in ziviler Kleidung dargestellt, um das wohltätige Wirken für seine Untertanen symbolisch zu betonen.
Literatur
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- Löffler, S.: Geschichte des Klosters Reinhardsbrunn nebst einer Baugeschichte des Schlosses Reinhardsbrunn. Erfurt und Waltershausen 2003.
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- Rausch, W.: Auf den Spuren Thüringer Fürsten. Die Ahnengalerie im Schloß Reinhardsbrunn. Gotha 1996.
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